20 Şubat 2016 Cumartesi

Mannheim: 20.02.2016 - Prof. Dr. Havva Engin hält Vortrag zur Rolle der Eltern beim kindlichen Spracherwerb im Kontext von migrantischer Zwei-/Mehrsprachigkeit auf der Veranstaltung 'Wie Sprachförderung gelingt'


@VeliAkademisiHD - Auf Einladung der Bildungsbürgermeisterin der Stadt Mannheim Dr. Ulrike Freundlieb hielt Frau Prof. Dr. Havva Engin auf der Dialogveranstaltung 'Wie Sprachförderung gelingt' an der Integrierten Gesamtschule Mannheim Herzogenried (IGMH) einen Vortrag mit dem Titel 'Auch auf die Eltern kommt es an!'

Havva Engin begann ihren Vortrag mit folgender These: 'Eltern sind die wichtigsten Sprachvorbilder ihrer Kinder. Ihnen kommt eine zentrale Rolle bei der Ausbildung einer altersangemessenen Sprache zu.'

In diesem Zusammenhang zitierte sie die Ergebnisse von Studien mit Kindern und Schülern mit Zuwanderungsgeschichte zu ihrem Sprachverhalten mit der sozialen Umwelt. Diese belegen, dass in Migrantenfamilien die Herkunftssprachen auch nach Jahrzehnten der Einwanderung eine wichtige Rolle spielen und an die jüngeren Generationen weitergegeben werden. Es sei davon auszugehen, dass sich diese Praxis auch in den kommenden Jahren nicht wesentlich verändern werde, was bedeute, dass eine zunehmende Zahl an Kindern und Jugendlichen ihren Alltag in mindestens zwei Sprachen bewältigt und schulisches Lernen für sie in mehrsprachigen Kontexten stattfindet, die Fremdsprachen nicht mitgezählt.

Die alternierende Verwendung von zwei Sprachen stelle für die meisten Migrantenkinder die Normalität dar. Eine vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) durchgeführte Befragung von Kindern im Alter von 5 bis 11 Jahren in verschiedenen deutschen Großstädten zeigte, dass diese den Sprachenwechsel als etwas völlig Normales ansehen und bewusst und willentlich verschiedene Sprachen in unterschiedlichen Lebens- und Bildungskontexten verwenden. So treffen bereits fünfjährige Kinder ganz klare Entscheidungen über ihr Sprachverhalten gegenüber (institutionellen) Bezugspersonen. So spricht nahezu die Hälfte von ihnen mit den Eltern die Mutter-/Herkunftssprache, wohingegen mit Freunden und Pädagogen ausschließlich Deutsch gesprochen wird. Die Aufteilung der Lebenswelt nach verschiedenen Sprachen prägt sich dabei mit zunehmendem Alter immer stärker aus.

In den vergangenen Jahren habe sich auch die Neurobiologie verstärkt dem Sprachenlernen von Kindern in mehrsprachigen Kontexten zugewandt und konnte mit interessanten Befunden aufwarten. Sie zeigen, dass bisherige Annahmen, wonach beispielsweise der gleichzeitige Erwerb von zwei Sprachen Kinder überfordert, korrigiert werden müssen. Zu den bekanntesten Studien zur neuronalen Sprachverarbeitung bzw. –prozessierung zähle die von Prof. Dr. Franceschini, die den Spracherwerb von frühen Mehrsprachigen, d.h. denjenigen, die eine zweite Sprache bereits vor dem dritten Lebensjahr gelernt haben und den späten Mehrsprachigen, d.h. denjenigen, die bis zum neunten Lebensjahr einsprachig waren und erst danach zwei Sprachen lernten, analysierte. Die Studie zeigte, dass das Gehirn von frühen Mehrsprachigen (<3) alle Sprachen in einem Zentrum verarbeitet und speichert, d.h. sie wie eine Sprache behandelt; bei der späten Mehrsprachigkeit (>9) werden verschiedene Zentren zur Sprachverarbeitung angeregt.

Nach den Ergebnissen dieser Untersuchung stellt Mehrsprachigkeit für das menschliche Gehirn und für das kindliche Lernen keine Überforderung dar.

Insofern könne nicht davon gesprochen werden, dass die Erst/Muttersprache das Erlernen einer Zweit-/Drittsprache behindere, im Gegenteil: je früher mit dem Lernen einer Zweitsprache begonnen werde, desto effektiver würden weitere Sprachen gelernt.

Des Weiteren führte Frau Prof. Dr. Engin aus, dass (Migrations)Eltern häufig zu wenig über den Wert lebensweltlicher Zwei-/Mehrsprachigkeit wüssten und daher immer wieder ermutigt werden müssten, auch 'ihre' Sprachen mit den Kindern zu sprechen.

Bereits seit Längerem sei in der Lernforschung belegt, dass der kindliche Spracherwerb von familiär-sozialen Faktoren abhänge, da die familiären Bezugspersonen direkten Einfluss auf die Quantität und Qualität der Sprachimpulse, welche an das Kind gerichtet werden, nehme. In US-amerikanische Längsschnittstudien wurde die Qualität des sprachlichen Inputs in bildungsnahen und bildungsarmen Familien untersucht. Es zeigte sich, dass Schulanfänger/innen, welche in bildungsnahen Familien und sprachanregender Umgebung aufwuchsen, im Vergleich zu Kindern aus spracharmen und bildungsbenachteiligten Elternhäusern über einen größeren Wortschatz verfügten, mehr Buchstaben kannten und auch in größerer Zahl selbständig ihren Namen schreiben konnten. Der größte Unterschied zeigte sich jedoch im Bereich der Leseerfahrung. Während bei Schulanfänger/innen aus benachteiligten Familien die Zeit, in denen ihnen von Seiten der Erwachsenen vorgelesen wurde, im Durchschnitt bei 25 Stunden lag, betrug diese in bildungsaffinen Familien rund 1000 Stunden. Diese Kinder zeigten in der ersten Klasse eine höhere Buchstabenkenntnis, eine erhöhte Fähigkeit Laute zu hören und einen signifikant größeren Wortschatz Entsprechende Fähigkeiten fehlten Kindern aus literaturarmen bzw. –fernen Familien. Das Bedenkliche an diesem Zustand sei darin zu sehen, dass der entstandene Rückstand in der Grundschule nur noch sehr schwer aufzuholen wäre.

Zum Abschluss ihres Vortrages stellte Havva Engin Beispiele vor, wie Eltern die bilinguale Sprachentwicklung ihrer Kinder aktiv unterstützen können. Für (Migranten)Kinder, die in lebensweltlicher Zwei-/Mehrsprachigkeit aufwachsen, sei es von großer Bedeutung, dass das dialogische Lesen in (mindestens) zwei Sprachen stattfände. Das grundlegende Ziel bestehe im Erwerb von 'Biliteralität,. d.h. der Teilnahme an zwei lebensweltlich relevanten Sprach- und Schriftsprachkulturen. Hierbei sollen die Kinder parallel verschiedene sprachliche Strukturen lernen und von der einen Sprache in die andere übertragen können, wobei dem Elternhaus die Aufgabe der Förderung erstsprachlicher Fähigkeiten und der Bildungsinstitution die Förderung der Deutschkenntnisse zukommt. Eine Förderung der so genannten Biliteralität könne am idealsten durch zweisprachige Fingerspiele, Lieder oder durch Lesetexte, die zwei-/mehrsprachig vorgelesen werden, erreicht werden.

Prof. Dr. Engin schloss ihren Vortrag mit der Feststellung ab, dass die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte darauf hindeuteten, dass die migrantischen (Herkunfts-)Sprachen in Europa eine weite Verbreitung erfahren und für die Sprecher eine hohe identifikatorische Bedeutung besitzen. Insofern könne nicht pauschal von einer Entwicklung in Richtung Sprachverlust oder dem Wechsel zum Deutschen gesprochen werden, sondern es müsse davon ausgegangen werden, dass die meisten Migranten ihren Alltag in mindestens zwei Sprachen gestalten und Deutschland daher schon längst eine mehrsprachige Gesellschaft geworden sei. @VeliAkademisiHD

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